Von Beginn an war die Methode EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) herausragend in der Therapie mit traumatisierten Menschen. Es begann Ende der 1980er-Jahre: Die Psychologin Dr. Francine Shapiro entwickelte ein Verfahren gegen Angst, um mit gezielten Augenbewegungen Traumata zu lösen. Dieses gilt mittlerweile als eine empirisch bestätigte und etablierte Behandlungsform für posttraumatische Belastungsstörungen. Das Video zeigt die Anfänge.
Den ersten positiven Ergebnissen der Methode folgten bald Erweiterungen. Es wurde festgestellt, dass Abläufe mit anderen Sinneskanälen gleiche Therapieergebnisse erreichten – bei gleichbleibendem Ablaufschema. Also anstatt visuell, mit Augenbewegungen, zu arbeiten, wurden taktile und akustische Reize genutzt.
Taktile Reize:Taktile Reize sind sanft klopfende Berührungen, jeweils wechselseitig auf die linke und rechte Körperseite (z. B. auf die Schultern, Oberarme oder Knie). Diese Berührungen können von der Person selbst oder von Therapeut*innen durchgeführt werden. Das Bild zeigt die klopfenden Berührungen auf die Oberarme.
Akustische Reize:Mit wechselseitigen akustischen Reizen ist Musik gemeint. Dabei ist die Musik so gestaltet, dass die Akustik abwechselnd links und dann rechts dominiert.
Der Fokus dieses Artikels wird nun im Folgendenauf der Musik liegen. Also, inwieweit Musik in der Anwendung von iEMDR (integratives EMDR)nützlich ist und weshalb sie gegen Angst und beruhigend auf die Amygdala wirkt, die sich bei drohender Gefahr aktiviert. Forschungen zeigen dazu, dass bei einer Behandlung mit der Methode EMDR das Angst- und Gefahrennetzwerk der Amygdala beruhigt wird. Die gleiche Wirkung scheint entsprechende Musik im gleichen Therapieschema zu haben. Dass Musik und Klänge eine starke Wirkung auf die Amygdala haben, zeigen folgende Studien.
Studie #1: Dissonanz, unregelmässiger Rhythmus, Harmonien in Moll und Änderungen im Tempo erzeugen “Angst”
William Aubé liess in seiner Studie die Teilnehmenden verschiedene Musikausschnitte anhören. Die Musikausschnitte klangen entweder beängstigend, fröhlich, traurig oder neutral. Es zeigte sich, dass beängstigende Musikausschnitte, im Vergleich zu den neutralen Musikausschnitten, zu einer deutlichen Aktivierung der Amygdala führten.
Wie konnten sich die Forscher sicher sein, dass es auch wirklich beängstigende Musik war? Sie stützen sich auf eine Studie von Sandrine Vieillard, die schon zuvor die Musikausschnitte nach ihrer Wirkung untersuchte. Vieillard zeigte: Die als «beängstigend» betitelte Musik wurde von den Studienteilnehmenden zu 82% als bedrohlich und unangenehm wahrgenommen.
Die charakteristischen Merkmale der Musik waren dabei folgende:
Sie war in Moll komponiert
enthielt zahlreiche falsche oder nicht zusammenpassende Töne
unregelmässige Rhythmik
das Tempo änderte sich – mal war die Musik schnell, mal war sie langsam
Studie #2: Angst klingt verzerrt und lärmend
Daniel Blumstein ging ebenfalls der Frage nach, wie Angst «klingt» und präsentierte seine Befunde später in einem TEDx Talk. Er kam zufällig auf diese Frage, als er an Murmeltieren forschte: Er erschrak nämlich einst beim Aufschrei eines Murmeltiers. Dieses gab quietschende und abrupte Laute von sich. Somit vermutete er, dass «Angst» verzerrt bzw. dissonant und lärmend klingt.
Er experimentierte daraufhin mit Tonfolgen, die er seinen Studienteilnehmern sowohl in reiner Form, als auch in verzerrter Form vorspielte. Und es zeigte sich in der Tat, dass Musik, die verzerrte, sprunghafte und plötzliche Elemente besitzt, die Zuhörer eher erregt.
Der Ursprung für dieses Gefühl der Erregung wird in der Vorzeit des Menschen vermutet. Stossartige und verzerrte Laute ähneln Schreien in Not und Gefahr. Sie sind als Warnsignal im «Angstgedächtnis» gespeichert und zeigen auch heute noch ihre Wirkung.
Zwischenfazit
Eine Arbeit vom Universitätsprofessor Dr. Gerhart Harrer fasst die oben erwähnten Erkenntnisse beider Studien nochmals zusammen. Somit haben eine anregende bzw. beängstigende Wirkung die folgenden musikalischen Merkmale:
Unharmonische Klänge
häufige Tempowechsel
melodische Sprünge
grosse Lautstärke
starke Akzente
Wenn also Musik die oben beschriebenen Merkmale enthält, wird dadurch die Amygdala aktiviert und es wirkt beängstigend. Im Kontrast dazu schauen wir im Folgenden mal darauf, welche musikalischen Elemente eine beruhigende Wirkung entfalten.
Beruhigung durch Musik
Ein besonderes Beispiel ist das Musikstück «Weightless» der Musikgruppe Marconi Union. Es sind im Stück lang gezogene Akkorde zu hören. Der musikalische Takt verlangsamt sich mit der Zeit von 60 auf 50 Schläge pro Minute.
Der Psychologe und Gehirnforscher Dr. David Lewis-Hodgson nutzte dieses Musikstück im Rahmen seiner Studie. Dabei fand er heraus, dass das Stresslevel der Teilnehmenden um 65% sank. Der Blutdruck und die Atemfrequenz beruhigten sich ebenfalls signifikant.
Eine weitere Bestätigung dieser Wirkung findet sich in einem systematischen Review und zwei Meta-Analysenvon Martina de Witte. Darin wertete sie Studien aus, die sich mit den Auswirkungen von Interventionen mit Musik auf stressbezogene Ereignisse befassten.
Auch hier zeigte sich, dass insbesondere langsame Musik beruhigend auf den Herzschlag wirkt (60 – 80 Schläge pro Minute). Gleichzeitig kann das Anhören von Musik die Amygdala deaktivieren, was die Intensität von stressbedingten emotionalen Zuständen verringert.
Eigenschaften beruhigender Musik
Die Ergebnisse der beiden genannten Studien finden nochmals ihre Bestätigung in der ebenfalls schon oben erwähnten Arbeit von Dr. Gerhart Harrer. Als charakteristische Merkmale beruhigender Musik gelten:
Einfache Harmonien
harmonierende Klänge
weiche Klangfarbe
enge Tonschritte
gleichmässiges Tempo in oder unter der Herzfrequenz
geringe Lautstärkeänderungen
ein weiches Pulsieren
Die beruhigenden Effekte einer solchen Musik wirken beruhigend auf das vegetative Nervensystem und der Amygdala gegen Angst. Daraus resultiert:
Blutdruck und Herzfrequenz sinken
die Muskelspannung nimmt ab
der Atemrhythmus beruhigt sich
Stresshormone im Blut werden reduziert
das Angst- und Schmerzempfinden nimmt ab
Resümee
Musik hat letztlich immer eine Wirkung auf den Menschen. Im Einsatz von iEMDR kann in der Behandlung beruhigende Musik gegen Angst ebenso gut eingesetzt werden, wie nach dem visuellen Standardprotokoll. Dabei dient die gleiche Wirkhypothese, die Amygdala beruhigen, um Extinktionslernen zu fördern (Neulernen von überholten Lernerfahrungen).
In unserer iEMDR Basisausbildung lernst Du, wie mit der Methode blockierende Ängste gelöst werden, um den Kopf freizumachen für klare Gedanken, gute Entscheidungen und Erfolg. Dabei lernst Du sogenannte Protokolle für visuelle, auditive und taktile Prozesse im Coaching.
Aubé, W. et al. (2015). Fear across the senses: brain responses to music, vocalizations and facial expressions. Social Cognitive and Affective Neuroscience, Volume 10, Issue 3, March 2015, Pages 399 – 407. DOI: https://doi.org/10.1093/scan/nsu067.
de Witte, M. et al. (2020) Effects of music interventions on stress-related outcomes: a systematic review and two meta-analyses. Health Psychology Review, 14:2, 294-324, DOI: 10.1080/17437199.2019.1627897.