Im Leistungssport gilt wie in kaum einem anderen Bereich die Frage: „Wie kann Spitzenleistung im Sport erreicht werden, um Gegner zu schlagen?“ Ein steter Wettlauf um bessere Trainingspläne, klügere Wettkampfstrategien und präzisere Leistungsdiagnostik, versuchen die körperliche Spitzenleistung zu erreichen.
Dadurch, dass man in einem Grossteil von Sportdisziplinen jedoch erkennen muss, dass physisch das maximale Leistungsniveau erreicht ist, steht der psychische Bereich von Athleten zunehmend im Fokus. Dabei entstehen Fragen, wie der menschliche Geist, der die körperliche Maschine antreibt, dabei unterstützen kann.
Dabei kommen zunehmend wissenschaftlich validierte Methoden zum Einsatz, um einen Blick auf den Persönlichkeitskern von Athleten blicken zu können. Darunter ist das der Persönlichkeitstest RMP® (Reiss Motivation Profile®). Er legt offen, durch welche intrinsischen Motive das Verhalten eines Athleten motiviert ist. Intrinsische Motivation bedeutet, dass die Handlung einer Person aus eigenem Antrieb erfolgt.
Das RMP® schlüsselt den intrinsischen Antrieb in 16 Kategorien auf, welche Lebensmotive genannt werden und dabei die Facetten der Persönlichkeit sichtbar machen. Vier dieser Lebensmotive heissen Ordnung, Rache/Wettkampf, Anerkennung, Ruhe. Wir werden hier zeigen, welche Bedeutung sie haben und wie sie beispielhaft eingesetzt werden können (Gianella, 2012).
Wie kann nun ein wissenschaftlicher Persönlichkeitstest Antworten darauf liefern, wie ein Athlet Spitzenleistung im Sport erreichen kann?
Der entscheidende Aspekt ist hierbei, dass die intrinsischen Motive des Athleten sichtbar gemacht und gezielt zur Entfaltung des Leistungsvermögens genutzt werden. Das RMP® schafft dabei eine entscheidende Verbindung zwischen dem physischen und psychischen Potenzial des Athleten.
RMP®: Überblick & Grundvoraussetzung
Im Folgenden verschaffen wir uns zunächst einen kurzen Überblick über vier Motive des RMP® und diskutieren im Anschluss praktische Beispiele für eine gezielte Anwendung, um Spitzenleistung im Sport zu erreichen.
Ordnung
Diese Motiv bedeutet, ob eine Person in ihrem Verhalten eher strukturiert oder flexibel vorgeht. Strukturiert ausgerichtete Personen bevorzugen einen klar angeordneten Ablauf bei der Durchführung ihrer Tätigkeiten (erst Schritt 1, dann 2, dann 3, dann 4 – und nicht: Schritt 1, 4, 2, 3). Flexibel ausgerichtete Personen sehen dies nicht so streng; sie jonglieren eher mit mehreren Aufgaben gleichzeitig, lösen sich von Routinen und akzeptieren es, wenn sich Abläufe spontan ändern.
Anerkennung
Diese Motiv bedeutet, ob eine Person eher selbstsicher oder unsicher wirkt. Selbstsichere wirkende Personen können z. B. Kritik gut verarbeiten (und nehmen diese auch nicht persönlich), sie zweifeln weniger an sich und benötigen auch weniger Lob von anderen. Unsicher wirkende Personen grübeln eher darüber nach, was andere über sie denken; Rückschläge und Kritik gehen ihnen nahe und ein Lob von anderen ist ihnen wichtig und lässt sie aufblühen.
Rache
Das Motiv zeigt, ob eine Person eher wettkampforientiert ist, oder eher nach Harmonie strebt. Wer eher zum Wettkampf tendiert, vergleicht sich gern mit anderen, um zu „gewinnen“. Sie stellen sich Konflikten, haben Durchsetzungswille und geben nicht so schnell auf. Menschen, die eher zur Harmonie neigen, vermeiden Konflikte. Sie können besser zwischen Menschen vermitteln und damit Auseinandersetzungen schlichten. Sie lehnen Gewalt eher ab, verlieren bei Provokationen nicht so schnell die Fassung und sind zudem mit Drohungen oder Kritik eher zögerlich/sparsam.
Ruhe
Das Motiv bedeutet, wie stressrobust oder stresssensibel eine Person ist. Letztere haben eine hohe Empfindsamkeit gegenüber Stress, Risiken und Gefahren. Sie wünschen sich emotionale und körperliche Sicherheit. Dadurch werden sie in unsicheren Situationen schneller nervös und handeln vorsichtiger, als Menschen mit der Ausprägung stressrobust. Denn diese können unter Druck und Stress eher einen kühlen Kopf bewahren. Sie wirken dadurch mutiger, abenteuerlustig und gehen eher Risiken ein. Dabei mögen den Nervenkitzel und trauen sich initiativ Dinge zu, bei denen andere der Atem wegbleibt.
Der Einsatz des RMP® für Spitzenleistung im Sport
Folgend fünf praktische Beispiele, wie das RMP® für besseres Leistungsvermögen mit Athleten eingesetzt werden kann:
Positiv wirkende Anweisungen geben
Einen guten Dialog nützt im Mannschaftssport nicht nur den Athleten unter sich, sondern auch dem Kontakt zwischen Athlet und Sportcoach. Nehmen wir das oben erwähnte Lebensmotiv Anerkennung: Wenn der Sportcoach weiss, dass ein Athlet ein höheres intrinsisches Bedürfnis nach Anerkennung hat, wird er Verbesserungen anders kommunizieren. Z. B. statt: „Du bewegst dich zu langsam. Das reicht nicht.“, wirkt: „Du bewegst dich schon schnell. Konzentriere dich noch mehr auf die Knie, dann wirst du noch schneller“, besser auf den Athleten. Erster kritisierender Satz löst beim Athleten Stress aus und reduziert die Leistungsbereitschaft, Spitzenleistung im Sport zu erreichen.
Wirkungsvolle Trainingspläne entwerfen und effektiv umsetzen
Unter Zuhilfenahme des RMP® können Sportcoaches die Zusammenarbeit mit Athleten effektiver gestalten. Dies betrifft insbesondere die Gestaltung von Trainings-, Wettkampf- sowie Regenerationsplänen. Hier am Beispiel des erwähnten Lebensmotivs Ordnung. Wenn ein Sportcoach weiss, dass sein Athlet eher zur Flexibilität (Ordnung gering) neigt, sollten Trainingspläne variantenreich sein und die Kreativität des Athleten nutzen. Gleichzeitig sollte man auf längerer andauernde Routinen verzichten. Ein „ordnungsliebender“ Athlet hingegen fühlt sich leistungsbereiter, wenn der Trainingsplan strikt und routiniert ist. Gerade im Mannschaftssport macht dies die Arbeit für einen Sportcoach facettenreicher. Dabei geht er
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- individuell auf den Athleten ein,
- spricht gezielt seine sportlichen Bedürfnisse an (sprich: Was ihn motiviert) und
- schafft damit eine Freisetzung und Steigerung des sportlichen Leistungsvermögens seiner Athleten, um Spitzenleistung im Sport zu erreichen
Impulsive Athleten proaktiv steuern
Das Lebensmotiv Rache zeigt, wie sehr sich eine Person kämpferisch oder harmonisierend verhält. Wer eher eine kämpferische Tendenz zeigt, tritt gern in Konkurrenz und scheut keine Gelegenheit, sich mit anderen zu messen. Das Risiko zeigt sich aber dann, wenn es in Übermut oder unsportlichem Verhalten enden könnte. Besonders im Mannschaftssport gibt es viele Möglichkeiten für verbale oder nonverbale Provokationen. Wenn ein Sportcoach weiss, welcher seiner Spieler zu einem wettkampforientiertem Verhalten tendiert, kann proaktiv gegensteuern. Dies, indem „Hitzköpfe“ darauf hingewiesen werden, unnötige Foulspiele, Platzverweise oder Strafen aufgrund impulsivem Eifer zu vermeiden.
Die richtigen Spieler für besondere Spielsituationen auswählen
Manche Entscheidungen sind selbst für erfahrene Sportcoaches schwer zu treffen. Ein häufiges Szenario ist die Auswahl von 11-Meter-Schützen im Fussball oder 7-Meter-Schützen im Handball. Das RMP® nimmt in diesem Fall die Entscheidung den Sportcoaches nicht ab, doch es unterstützt bei der Entscheidung, welche Athleten in einer besonderen Spielsituation eher geeignet sind. So zeigt das Lebensmotiv Ruhe, wie stresssensibel oder stressrobust ein Athlet ist. Für einen Strafstoss werden idealerweise stressrobuste Athleten bevorzugt. Sie können unter Druck eher einen kühlen Kopf bewahren. Gleichzeitig reizt sie der Nervenkitzel und das Adrenalin.
Ein Mehrwert für den Athleten als Privatperson
Das RMP® bietet über den Sport hinaus einen fruchtbaren Mehrwert für Athleten. Denn Athleten sind auch Privatpersonen. Das RMP® bietet der privaten Seite des Athleten einen tiefen Einblick auf die intrinsischen Bedürfnisse. Dies führt zu mehr Ausgeglichenheit und Fokus, auch abseits des Sports oder nach Sportkarriere-Ende.
Zusammenfassung
Das RMP® ist eine zuverlässige Methode, um als Sportcoach die individuelle Motivations- und Antriebsstruktur eines Athleten zu verstehen und für eine bessere Kommunikationskultur einzusetzen.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus dem RMP® unterstützen, individuelle Rahmenbedingungen für einen Athleten zu entwickeln, um ihn mental und körperlich zur Spitzenleistung im Sport zu führen.
Ausserdem bieten das Profil wertvolle Zusatzinformationen über die individuellen Bedürfnisse des Athleten. Sportcoaches unterstützt es dabei, in besonderen Spiel- und Wettkampfsituationen den passenden Athleten auszuwählen.
Trainings-, Wettkampf- oder Regenerationseinheiten können wirkungsvoller entwickelt werden. Das gilt auch für das Training spezieller Szenarien, um impulsive Handlungen zu vermeiden.
Für ausgebildete Coaches bieten wir ein Zertifizierungsseminar in der Methodik. Mehr dazu hier.
Referenzen
- Gianella, D. (2021): Handbuch – The Reiss Motivation Profile®, 3., überarbeitete Auflage, werdewelt Verlags- & Medienhaus GmbH.